Sorge und Besorgnis in Beziehungen

Der Verlust oder der Bruch einer Beziehung kann extrem schmerzahft sein. Er kann ein traumatisierendes Erlebnis sein, das uns in die düstersten Zustände von Angst und Depression, Wut und Unbeholfenheit versetzen kann. Vor allem dann, wenn wir das Gefühl haben, keine Kontrolle über das Geschehene zu haben. Gleichzeitig erleben wir auch Situationen in denen wir eine Beziehung verlieren und wissen (oder ahnen), dass wir auf gewisse Weise zum Verlust beigetragen haben. Wahrscheinlich ist das der Fall in den meisten Situationen. Trotzdem ändert das nichts an unseren Gefühlen. Wir erleben die selbe Verzweiflung, die selbe Angst und den selben Frust. Wir neigen dazu, uns an etwas oder jemanden zu klammern, uns defensiv zurückzuziehen oder Situationen zu schaffen, in denen wir Kontrolle ausüben können.

Das Erkenntnis oder die Ahnung, dass wir mit unseren Taten zu einem wichtigen Verlust beigetragen haben, lässt in uns ein Gefühl von Schuld enstehen, was durchaus gesund sein kann. Wenn es erträglich ist und nicht so stark, dass es uns lähmt, verbirgt es etwas wertvolles und kann uns etwas wichtiges über unsere Beziehungswelt lehren.

Ein unangenehmes Schuldgefühl, was aber ertragbar ist, hilft uns, uns in andere hineinzuversetzen und uns vorzustellen, wie es sich für sie anfühlt, wenn wir sie verletzen. Wenn wir uns mit jemandem anderen identifizieren können, entwickeln wir die Fähigkeit, uns um den anderen zu sorgen. Sich in einer Beziehung um jemand anderen zu sorgen und dies auch zum Ausdruck zu bringen, bedeutet, die ichbezogene Phase zu überwinden. Wenn wir das, was uns gegeben wird, nicht mehr als selbstverständlich sehen und wir zur Besorgnis fähig werden, fangen wir an, uns dafür zu interessieren, was der andere denkt, fühlt und erlebt. Wir beschäftigen uns mehr mit den Konsequenzen und Motivationen unserer Handlungen und beginnen die guten Dinge wahrzunehmen und verstehen, dass wir sie durch unser Verhalten verlieren könnten. Wir sind dankbarer und reflektieren darüber, was wir zurückgeben. Wir denken darüber nach, wie wir einen Fehler wieder gut machen können, und wie wir die anderen vor unserem feindseligen Benehmen (das aus unseren Verletzlichkeiten entsteht) schützen können.

Die Fähigkeit zur Besorgnis - ein von dem englischen Psychoanalytiker D.W. Winnicott entwickeltes Konzept -, geht davon aus, dass wir unsere Schuldgefühle in uns „aufnehmen" können (to contain). Anders gesagt, wir übernehmen die Verantwortung für unsere Schuld ohne zu versuchen, einen Sündenbock in der Außenwelt zu finden. Natürlich kann uns manchmal schwer fallen, uns diese Schuld einzugestehen. Das kann zum Beispiel passieren, wenn es für uns problematisch ist, zuzugeben, wie wichtig der andere für uns tatsächlich ist (eine Form von emotionaler Pseudoautonomie).

Schuld und Sorge, gekoppelt mit der Fähigkeit, gute Dinge im Leben willkommen zu heißen (also uns nicht von einem zerstörerischen Impuls leiten zu lassen, der aus der Überzeugung entsteht, dass uns nichts Gutes im Leben zusteht), führen uns dazu uns einzugestehen, dass wir von Natur aus, sowohl positive, als auch negative Seiten haben. Dass wir sowohl Gefühle der Zuneigung, als auch feindliche Gefühle uns selbst gegenüber, aber auch anderen gegenüber hegen. So können wir zum Beispiel einen Wutanfall an den uns am wichtigsten Menschen auslassen, um uns danach Vorwürfe zu machen, und zu versuchen, die Situation wieder gut zu machen - was aus unserer positiven Seite hervorkommt.

Die Entdeckung dieser Ambivalenz ist Freud zu verdanken, welcher bemerkt hat, dass kleine Kinder in den ersten Jahren ihres Lebens sowohl von Liebe und Sorge, aber auch von Hass und Wut ihren Eltern und Geschwistern gegenüber geleitet werden. Diese gespaltene Haltung findet sich später in all unseren Beziehungen wieder, und gehört zu ihren fundamentalen Kern. Eine der schwersten und wichtigsten Aufgaben, die wir im Laufe des Lebens und der Reifungsprozesse zu bewältigen haben, ist, diese gegensätzlichen Elemente in unserem Verstand zusammenzubringen. Je besser uns das gelingt, desto mehr nehmen wir uns selbst und andere als einheitliche Wesen wahr. Unsere Art, in Beziehung mit anderen zu treten, ändert sich gänzlich. Wir verstehen, dass wir eine Person lieben können und ihr gleichzeitig feindselige Gefühle entgegenbringen können, und dass unsere Beziehung trotzdem zufriedenstellend sein kann.

Erst die Integration beider Teile von uns führt zu besseren und stabileren Beziehungen. Wenn wir akzeptieren, dass wir lieben können und trotz unserer Fehler geliebt werden können, wächst in uns die Dankbarkeit für das, was wir bekommen. Es hilft uns, unsere Aggression auszugleichen und wir bemühen uns, dass unsere Beziehung temporäre Konflikte ohne Schäden überlebt. Schuldgefühle, die Fähigkeit zur Besorgnis und der Wunsch Fehler wieder gut zu machen, kommen zum Vorschein, wenn die Beziehung bereits eine wichtige affektive Basis hat. Gleichzeitig aber verstärken diese die positiven Gefühle einer Beziehung und stellen die zerstörerische Seite in den Schatten. Unter der Bedingung, dass der andere und die Beziehung einem wichtig genug sind, entsteht somit ein “Teufelskreis”.

Ein gesundes Schuldgefühl und die Fähigkeit zur Besorgnis definieren eine Beziehung. Sie bereichern sie, so wie ihre Abwesenheit sie schwächt oder sie sogar zerstören kann. Wenn wir sie aber zulassen, führen uns die beiden zur Integration der Ambivalenz. Ihrerseits, eine integrierte Ambivalenz unserer Erlebnisse hilft uns dabei, eine Beziehung über einen langen Zeitraum aufrecht und gesund zu erhalten. Obwohl der (mögliche) Verlust einer Beziehung uns manchmal das Gefühl von Sicherheit raubt, kann er diesen heilenden Effekt haben, unter der Bedingung, dass wir uns eingestehen, Besorgnis zu erleben. Ein Universum, in dem die Sorge um den anderen fehlt, ist eine sehr arme und zerbrechliche Welt. Es ist eine Welt, in der wir nicht erhalten und nicht geben können, also eine Welt, in der wir nicht die Möglichkeit haben, unsere besten Seiten zu erleben.

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