Wie überstehen wir diese Pandemie?

„Obwohl der Tod den Menschen physisch zerstört, die Idee vom Tod rettet ihn.” (Irvin D. Yalom, „Existentielle Psychotherapie„)

Die Furcht vor Krankheit, Verlust und dem Tod sind Ängste, die unter üblichen Umständen erträglich sind, was es uns möglich macht, normal zu funktionieren und ein bestimmtes psychisches Gleichgewicht zu behalten. Wenn die Realität eine wesentliche Veränderung durchmacht, so wie in den letzten Wochen, überwältigen uns diese Ängste in unverschleierter Form und lösen in uns starke, primitive Gefühle aus. Des Weiteren fügt so eine Krise, wie die Pandemie, unserem narzistischen Gefühl, unverletzbar zu sein und unserem Selbstbild, großen Schaden zu.

Unter diesen Umständen ist es ganz normal, dass unsere Psyche versucht, sich zu schützen, indem sie diverse Abwehrmechanismen aktiviert. Einer dieser Abwehrmechanismen ist Verleugnung. Verleugnung symbolisiert die Flucht aus der Realität, die Weigerung zu verstehen und zu akzeptieren, was in Wirklichkeit passiert: „Ich habe keine Angst vor der Gefahr, weil es sie gar nicht gibt”. Je angsteinflößender und schwerer zu akzeptieren die Realität ist, desto stärker ist ihre Verleugnung. Für Leute, die sich diese Abwehrmechanismus bedienen, ist die Vorstellung, krank zu werden oder sogar zu sterben, völlig unerträglich.

Ein anderer Abwehrmechanismus, der in diesen Zeiten oft angewandt wird, ist die Projektion. Wie projiezieren nach außen, was wir an uns selbst nicht akzeptieren können. Die Anspannung, Wut und Angst, mit denen wir nicht mehr umgehen können, „hinterlegen” wir bei anderen. Wir beschuldigen andere, wenn sie sich nicht strikt an die Regeln halten, weil es uns selber schwer fällt, uns an die Regeln zu halten. Durch die Projektion schützen wir uns vor unserem eigenen Bedürfnis zu rebellieren. Eine andere Form von Projektion ist die, in der wir uns eine neue Realität schaffen, in der wir damit beschäftigt sind, den Schuldigen zu finden und die „wahren Gründe” hinter allem aufzudecken. So hoffen wir äußerlich das zu kontrollieren, was wir in unserem Inneren nicht kontrollieren können. Das Gefühl in dieser Zeit die Kontrolle über unser Leben zu verlieren verursacht mehrere Arten dieser Projektionen.

Aber der wahrscheinlich am meisten verbreitete Abwehrmechanismus ist die Regression, im Zuge derer, die Psyche versucht sich zu schützen, indem sie sich zurückzieht. Mit anderen Worten, sie kehrt in ein früheres Entwicklungsstadium zurück. Der Zustand von Ungewissheit, Einschränkung der persönlichen Freiheiten, das Fehlen von Beschäftigung, aber vor allem die Tatsache, dass wir gezwungen sind, zu Hause zu bleiben (viele Menschen nehmen diese Isolation als Ausschluss wahr) bestärkt die Regression. Die aktuelle Situation „erinnert” uns auf emotionalem Niveau an unsere Kindheit. Wir fühlen uns hilflos und kraftlos, auf der Verhaltensebene werden wir unselbstständiger und erwarten, dass jemand anderes sich um unsere Probleme und uns kümmert. Das „Kind in uns” ist nun empfindlicher, erträgt weniger Frust und benötigt mehr Unterstützung.

Verleugnung, Projektion und Regression sind primitive Abwehrmechanismen, da sie keinen großen adaptiven Wert haben. Die Tatsache, dass sie in dieser Zeit weit verbreitet aktiviert wurden zeigt, wie archaisch und stark unsere Ängste sind. Unsere Psyche verbaucht in diesen Tagen viel Energie in dem Versuch sein Gleichgewicht wiederzugewinnen.

Wie lange wir in diesen Zuständen verweilen, mit welcher Intensität wir sie erleben und welche langfristigen Folgen sie für uns haben, hängt von unseren eigenen Ressourcen und unserem allgemeinen psychischen Zustand im Moment des Geschehens ab. Jeder von uns reagiert heute anders auf diese Krise, als er es noch vor sechs Monaten getan hätte oder wie er in einem Jahr reagieren würde. Andererseits sind die Lösungen eng an unsere Bewältigungsstrategien gebunden, also an die Art, wie wir gelernt haben, mit schwierigen Situationen umzugehen.

Eine der Bedingungen, um nach so einem Erlebnis in das „normale Leben” zurückzukehren, ist die Fähigkeit, die Zukunft wieder mit der Gegenwart zu verbinden. Obwohl wir das Gefühl haben, die Zeit sei stehen geblieben (ein typisches Gefühl für ein traumatisches Erlebnis), ist es möglich, dass diese Krise ein bestimmtes Gefühl von Dringlichkeit in uns ausgelöst hat, das Gefühl, dass wir auf bestimmte Weise keine Zeit mehr haben. Wir alle haben Pläne, die wir aufgeschoben, vermieden, nicht beendet oder gar nicht erst angefangen haben, egal was es für Pläne sind und aus welchem Bereich – Beziehungen, Karriere, Kinder, persönliche Entwicklung.

Wenn unsere Kraft die äußeren Umstände zu beeinflussen im Moment relativ reduziert ist, können wir von diesem Raum zu reflektieren profitieren, den uns dieses Erlebnis gegeben hat, um ihm innerlich einen Sinn zu geben. Wir haben jetzt die Möglichkeit, unser Leben so zu betrachten, wie es ist, jenseits der Aufregung mit der wir sonst unseren Alltag füllen. Wir müssen nicht direkt handeln (eventuell aus einer Panikreaktion heraus). Manche Veränderungen brauchen eine Strategie und einen langfristigen Planungshorizont. Aber die Art wie wir dieses Erlebnis irgendwann in unser Leben intergrieren , hängt davon ab, wie wir es uns jetzt verändern lassen.

Photo: pixabay

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